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Logbuch Ukraine: Einblicke in die Arbeit Teil IV

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Im heutigen Eintrag schildert Imke Hansen, Mitarbeitende unserer ukrainischen Partnerorganisation Vostok SOS, ihre Eindrücke und Erlebnisse in Maksimivka. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen ist sie auf Monitoring Mission im Osten der Ukraine. Jeden Tag besuchen sie andere Orte, um mit den Menschen zu sprechen, die Lage zu erfassen, humanitäre Nöte zu erkennen und Evakuationsbedarf zu registrieren. Die Ergebnisse des Monitorings helfen, den operativen Fokus dorthin zu richten, wo Menschen keine andere Hilfe bekommen. Wir veröffentlichen Auszüge aus ihrem Logbuch.

Unterwegs in Maksimivka


Nach dem überstandenen Abenteuer im Matsch fuhren auf Maksimivka zu, dem Dorf, wo bis vor einigen Wochen die Frontlinie verlief. Links und rechts der Straße stecken Raketen in den Feldern, dazwischen grasen Kühe. Am Straßenrand liegen Wracks von Militärtechnik und versprengte Teile von irgendetwas. Ein toter Kuhkörper, ein Haufen Minen, ein Helm, noch drei tote Kühe am Straßenrand, dann haben wir die Siedlung erreicht. In den ersten drei Häusern waren russische Positionen, im vierten wohnt Mila.

Sie hat ihr Haus nicht verlassen, obwohl die Russen das verlangt haben. Während der gesamten Besetzung und all der Kämpfe ist sie geblieben und hat alles miterlebt, auch die Zerstörung ihres eigenen Hauses. Sie berichtet, dass eine Frau während der Okkupation an Altersschwäche gestorben und zwei Männer von den Russen erschossen worden seien. Sie und ihr Mann wohnen in der Sommerküche, einem Raum mit einem kleinen Keller, eigentlich einfach einer Erdhöhle, in der sie bei Beschuss Schutz gesucht haben. Während der Okkupation haben sie noch zwei Personen aus dem Dorf bei sich aufgenommen. 
Im Sommer hat sie sich um ihren Garten gekümmert, gesät, gedüngt, geerntet – dank ihres Gemüses konnte sie immer etwas zu Essen auf den Tisch bringen. Raus aus der Erdhöhle, in den Garten, wenn es wieder los geht, wieder rein in die Erdhöhle - so verging der Sommer. Brot gab es den ganzen Sommer nicht, erst seit zwei Wochen bringen ihr Freiwillige zweimal in der Woche Brot.  Es gibt immer noch keinen Strom, kein Gas und kein Wasser. Mila kocht über dem Feuer.

Sie hat zwei Kühe. Bevor der Krieg in Maksimivka einzog, hatte sie eine Kuh. Nachbarn haben ihr, bevor sie geflohen sind, zwei weitere Kühe anvertraut. Eine davon haben ihr die Russen weggenommen, genau wie die Schweine. Sie hat ein schlechtes Gewissen den Nachbarn gegenüber, schließlich sollte sie auf die Kühe aufpassen und jetzt haben die Russen die eine geschlachtet. 
Als wir sie besuchen erzählt sie vor allem von der Befreiung. Wie sie sich gefreut hat. Wie dankbar sie den ukrainischen Soldaten ist. Wie froh sie ist, dass es vorbei ist. Leiden ist nicht ihr Ding, sie kommt gut klar. Sie braucht auch keine weitere humanitäre Hilfe. Während der Besatzung hat sie sich um eine Frau gekümmert, die am Ende des Dorfes wohnt, und ist dort jeden Tag hingelaufen. In die andere Richtung, dort wo die toten Kühe liegen, geht sie nicht. Aber sie hat gesehen, wie die Russen auf Kühe geschossen haben. Zum Spaß.

Leben in einer verminten Gegend


Um Mila herum ist die Welt vermint. Sie kann sich nur auf ihrem Grundstück sicher bewegen, und das ist nicht groß. Sie benutzt auch die Straße, die Russen haben ihr gesagt, dass sie die auch nicht vermint haben. Die Ukraine ist weltweit das am stärksten verminte Land, das kam neulich in den Nachrichten. Mila weiß das nicht, sie weiß kaum etwas von dem, was außerhalb von Maksimivka passiert, denn sie kann keine Nachrichten hören – es gibt ja keinen Strom. Sie hatte ein Handy, aber das haben ihr die Russen abgenommen. Sie weiß aber, dass ein Schritt von der Straße runter ihr das Leben kosten kann. Sie weiß, dass sie die Felder nicht betreten darf, dass sie die ganze Natur um sie herum, die sich langsam vom Krieg erholt, nicht nutzen kann. Auch wenn alles friedlich aussieht.

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