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"Hunger und Armut sind auf dem Vormarsch"

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Die Not für die Bevölkerung in Afghanistan ist nach wie vor groß. Wie steht es derzeit um die Arbeit von Hilfsorganisationen wie der Diakonie Katastrophenhilfe? Kann überhaupt Hilfe geleistet werden? Und wenn ja, wie? Das weiß unser Kontinentalleiter, Michael Frischmuth.

Herr Frischmuth, die Soldat*innen sind aus Afghanistan abgezogen. Es wird weiter versucht, gefährdete ehemalige Ortskräfte aus dem Land zu bringen. Doch wie ist die Lage für die Hilfsorganisationen – können sie vor Ort noch arbeiten?

Frischmuth: „Die Hilfe läuft wieder an – das ist nur möglich, weil wir uns immer politisch unabhängig gehalten haben, also zum Beispiel keine Gelder des deutschen Staates angenommen haben. Damit sind Mitarbeitende unserer Partnerorganisationen in den Augen der Taliban keine Feinde. Mit dem Machtwechsel im August lagen zunächst alle Aktionen für etwa zwei Monate auf Eis – man musste sich sortieren und sehen, ob und wie man weiterarbeiten könnte, es brauchte neue Genehmigungen der neuen lokalen Regierungen. Die Frage war, ob Frauen weitermachen dürften, und so weiter.“

Und hat das geklappt?

Frischmuth: „Hilfe ist wieder möglich, ja. Auch vor dem Abzug mussten sich die Organisationen ja schon immer mit den lokalen Autoritäten verständigen. Die Arbeit war immer unsicher, das ist quasi ein Markenzeichen der Arbeit von Hilfsorganisationen. Allerdings können wir derzeit nur helfen, weil die Lager für Nahrungsmittel und Hygieneartikel im Sommer erst aufgefüllt wurden – denn Geld ins Land zu bekommen, ist auch für uns aktuell quasi unmöglich. Es gibt keine Garantie, dass Überweisungen ankommen, und das Vertrauen der Bevölkerung in das Bankensystem ist weg – Händler wollen also bar bezahlt werden. Bargeld ist aber sehr knapp: Es werden nur bestimmte Beträge pro Woche ausgezahlt, der öffentliche Dienst bekommt kein Gehalt und die Lebensmittelpreise steigen stark.“

Ist es dann überhaupt noch sinnvoll zu spenden?

Frischmuth: „Ja, auf jeden Fall, denn die Kontinuität ist äußerst wichtig. In Afghanistan sind Hunger und Armut auf dem Vormarsch. Die aktuellen Prognosen gehen zudem davon aus, dass sich die Situation über den Winter weiter verschlechtert. Wir arbeiten sehr an Lösungen für die Probleme, das heißt in erster Linie finanzielle Mittel wieder ins Land zu bekommen und dabei sicherzustellen, dass diese ohne Vorbedingungen für humanitäre Zwecke eingesetzt werden können.“

Wie ist die Lage für die Mitarbeiter*innen – wollen auch sie das Land verlassen?

Frischmuth: „Manche ja. Aber viele sagen auch, dass sie bleiben wollen. Teilweise müssen sie es auch, weil sie schlicht eine Flucht finanziell nicht stemmen können. Und viele wollen bleiben, weil sie durch uns eine Arbeit haben und solange helfen wollen, wie es die Möglichkeit gibt.“

Die Diakonie Katastrophenhilfe ist seit über zehn Jahren in Afghanistan. Sehen Sie eine positive Entwicklung oder ist es frustrierend, dass es weiterhin an so Vielem fehlt?

Frischmuth: „Ich denke, es ist eine außergewöhnliche Leistung, die sich in der Gesellschaft vollzogen hat, etwa, dass Mädchen und Frauen Zugang zu Bildung bekamen. Die größeren Städte haben regelrecht pulsiert. Aber: Die Hilfe kam immer von außen, das Land stand nie auf eigenen Füßen. Solange wir helfen können, Menschenleben zu retten, tun wir das. Wir können das Ganze nicht politisch lösen, aber wir können den Menschen ein würdevolles Leben ermöglichen.“

*Das Interview führte Christine Warnecke und erschien zuerst auf der Webseite der Landeskirche Hannover

 

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