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Interview: „Den Geflüchteten fehlt es an allem“

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Die anhaltenden Gefechte im Sudan zwingen immer mehr Menschen zur Flucht, viele von ihnen fliehen in den Tschad. Dort leisten wir gemeinsam mit Partnern Nothilfe. Régis Jabo, Büroleiter der Diakonie Katastrophenhilfe im Tschad, berichtet im Interview über die Situation vor Ort.

Herr Jabo, wie ist der Zustand der Menschen, die derzeit im Tschad ankommen?  

Den Geflüchteten fehlt es an allem. Diejenigen, die es über die Grenze geschafft haben, kommen mit ein paar wenigen Habseligkeiten wie Kochutensilien, Schlafsachen oder Lebensmitteln, die noch für maximal zwei Tage reichen. Es mangelt an grundlegenden Bedarfen wie sanitären Einrichtungen oder Hygieneartikeln. Ein großes Problem ist auch sauberes Trinkwasser: Die Versorgung der Ankömmlinge erfolgt zunächst per Lastwagen, doch je weiter die Menschen von der Grenze in umliegende Dörfer weiterziehen, desto dringender wird der Bedarf an Wasser und sanitären Einrichtungen.

Die ausreichende Versorgung der Menschen im Tschad mit Wasser ist generell ein großes Problem, da das Land von Trockenheit geprägt ist. Setzen Regenfälle ein, besteht durch den ausgetrockneten Boden Überschwemmungsgefahr.

Was passiert an der Grenze und wo bleiben die Geflüchteten nach dem Grenzübertritt?

An der Grenze werde die Geflüchteten zunächst registriert und identifiziert. Dann verlegt der UNHCR die Menschen in bestehende Camps. Diese sind allerdings überfüllt, es werden derzeit neue Standorte ermittelt. Ein Problem ist, das einige Geflüchtete die Grenzregion nicht verlassen möchten. Sie haben noch haltbare Lebensmittel zuhause und bleiben trotz des Sicherheitsrisikos lieber dort, wo sie gegebenenfalls zurück gehen können um Essen zu holen. Dadurch entsteht auch ein großer Koordinierungsbedarf.

Was sind Ihre allgemeinen Befürchtungen für die nächsten Wochen?

Die Regenzeit steht vor der Tür und im Osten hat es bereits zu regnen begonnen. Wenn in den nächsten drei Wochen keine nennenswerten Maßnahmen ergriffen werden, wird die Region unzugänglich sein, weil die Straßen unpassierbar sind. Die Menschen, die in dieser Region leben, werden normalerweise aus dem Sudan versorgt. Das wird dann nicht mehr möglich sein. Ebenso die Versorgung vor Ort, denn das Verteilen von Bargeld an Geflüchtete zur Deckung von Grundbedürfnissen ist nicht möglich: Die Märkte werden nicht beliefert. Hier drohen Ressourcenkonflikte, denn die Region ist von Armut geprägt. Wenn nichts für die einheimischen Menschen getan wird, drohen Verteilungskonflikte zwischen der lokalen Gemeinde und den Flüchtlingen.

Wie sind die Bedingungen für humanitäre Hilfe in dem Gebiet?

Es handelt sich um eine schwere Krisensituation: Sowohl im Sudan, als auch im Tschad. In den nächsten drei Monaten werden 135.000 weitere Flüchtlinge an der Grenze erwartet, die Sicherheitslage ist prekär. Das verschärft die ohnehin angespannte Lage im Tschad weiter.

Neben den klimatischen Bedingungen erschweren sozioökonomische Faktoren die Situation. Am 15. April 2023 kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und der Miliz der Rapid Support Forces (RSF) in Khartoum. Die Kämpfe konzentrierten sich auf die städtischen Zentren und betrafen vor allem die Hauptstadt des Landes und Gebiete entlang des Ost-West-Korridors. Angesichts der familiären Verbindungen und politischen Einflüsse zwischen den beiden Parteien ergriffen die in Darfur ansässigen Gemeinschaften und Milizen Partei für die eine oder andere Seite der Kriegspartei.

Dies hat die ohnehin instabile Konfliktsituation weiter verschärft und einen massiven und anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen ausgelöst, 330.000 Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Die Zahl der Flüchtlinge steigt von Tag zu Tag, während den anwesenden humanitären Helfern die Mittel ausgehen, da nur weniger als 5 % der für die Nothilfe erforderlichen Mittel aus den vorhandenen Vorräten zur Verfügung stehen. Die Organisationen haben Appelle veröffentlicht, aber die Mittel bleiben aus. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Bedarf groß und vielschichtig ist und sich von Tag zu Tag verschlimmert.

Wie sieht die Hilfe in den nächsten Wochen konkret aus?

In den nächsten Wochen werden wir zusammen mit dem Lutherischen Weltbund in der Grenzprovinz Wadai Hilfe leisten. Wir verteilen unter anderem Kochutensilien und Hygienesets an mehr als 10.000 Geflüchtete. Zudem stellen wir Latrinen und Duschen zur Verfügung. Um realitätsnahe Bedarfe zu ermitteln aber wir momentan mit anderen internationalen Hilfsorganisationen zusammen und führen Evaluierungen durch. So kann sichergestellt werden, dass die Hilfe auch da ankommt, wo sie gebraucht wird.

An wen richtet sich die Hilfe der Diakonie Katastrophenhilfe und ihrer Partner speziell?

Wir konzentrieren uns bei der Hilfe besonders auf die Menschen, die am stärksten gefährdet sind und bislang noch nicht versorgt wurden. Hierzu zählen unter anderem Menschen mit Behinderungen, schwangere Frauen und stillende Mütter. Zudem sind zahlreiche Kinder unternährt, sie benötigen dringend ambulante therapeutische Hilfe und eine Unterkunft, auch mit Hinblick auf die bevorstehende Regenzeit. Jedes Jahr gibt es in dieser Zeit schwere Überschwemmungen.

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