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„Haiyan hat dieses Land verändert“

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Wolfgang Rosenbaum arbeitet als freier Journalist für die Diakonie Katastrophenhilfe und war während der Katastrophe auf den Philippinen. Ein Augenzeugenbericht.

Kinder vor zerstörtem Haus

Um 7:30 checken wir aus dem Hotel aus und starten mit unserem Team in den Norden der Insel Cebu. Es ist Sonntag. Die Straßen sind verstopft von Autos, Motorrädern und Bussen, es geht nur langsam voran. Zwei Stunden für die ersten 25 Kilometer!

Gegen 11:30 verändert sich die Vegetation. Zerzauste Bananenstauden zeigen, dass Haiyan hier gewütet hat. Menschen säumen den Straßenrand. Frauen und Kinder strecken uns die Hände entgegen. „We need help!“, „We need food and water!“ oder einfach nur „Help!“ Wir kriechen mit unserem Pickup über die hügelige, einst wunderschöne Landschaft. „Die bräunlichen Bergrücken waren vor einer Woche noch grün, Haiyan hat ihre Farbe gewechselt!“ erzählt mir Tessie Jagmoc, eine der Katastrophenhelferinnen aus unserem Team. Tessie ist mit ihren 59 Jahren die Älteste im Team. Wir sehen Hütten mit abgeknickten Dächern oder ganz ohne Dach. Ganze Streifen Wellblech von zig Dächern hängen bedrohlich in den Bäumen.

Fünf Stunden nach unserer Abfahrt erreichen wir den Ortseingang von Kawit. Hier leben 1033 Menschen. 90 Prozent der Häuser in Kawit sind zerstört. Teilweise sind sie wieder notdürftig hergerichtet. Die Menschen hier geben nicht auf: „Let‘s fight the battle. Get up, stand up, Vissayas“ lese ich im Vorbeifahren auf den T-Shirts junger Männer und Frauen, die sich aus anderen Regionen zusammengeschlossen haben, um hier gemeinsam zu helfen.

Wir stoppen vor einem Haus. Hier wohnt Reix Anthony Ababa, genannt Roxan. Der höfliche junge Mann schaut mich schüchtern an. Verschämt bereitet er mir einen Sitzplatz auf einem Bettgestell ohne Matratze, legt ein trockenes Tuch darauf und setzt sich selbst in die Nässe. Auf dem Boden steht das Wasser. Ich schaue an die Decke, wo keine mehr ist.

Neben uns ein Tisch, darunter liegt die Kleidung der Familie und eine zerschlissene Plane deckt das Ganze notdürftig ab. Roxan wohnt hier mit seinem zehnjährigen Bruder und seiner Mutter. Als der Taifun sich ankündigte, brachte er seinen Bruder und Mutter zum Haus der Tante, das stabiler gebaut war. Den Besitz der Familie sicherte er an einer Wand in einem der drei kleinen Räume und floh selbst in ein sicheres Haus. „Ich musste ruhig bleiben, um das Richtige zu tun“, flüstert er leise. Als der Wind sich drehte, kämpfte er sich zurück zum Haus seiner Familie, um den wenigen Besitz zu retten. Eine halbe Stunde brauchte er für 500 Meter. Seit der Taifun tobte, plagt ihn immer wieder ein Alptraum: „Immer wieder kommt diese Hand aus dem Himmel“, beschreibt er. Er greift zu einem kleinen Reisigbesen und wischt durch das Wasser. „Das macht diese Hand, das macht die Natur mit den Philippinen“, mit großen Augen schaut er mich an und hält den Besen fest in der Hand.

Wir ziehen weiter, weil wir auch an anderen Orten die Lage in Augenschein nehmen wollen. Damit die Hilfe aus Deutschland auch dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Die Zeit zum Schreiben ist jetzt knapp, unser Fahrer wartet schon. Es geht nach Tacloban, dem Zentrum der Verwüstung. Ohne Telefon, ohne Strom und ohne Internet. Wir müssen weiter! Adto Na Mi!

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