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"Den Menschen wieder eine Zukunft geben!"

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Wie ist der Alltag in einer Region, die durch das Hochwasser stark zerstört wurde? Und auf was kommt es jetzt an? Unser Mitarbeiter Bernhard Meinke hat in seiner Heimat Bad Neuenahr hautnah erlebt, was eine solche Katastrophe mit sich bringt: das Furchtbare, aber auch, was in solchen Zeiten Zusammenhalt und Solidarität bedeuten.

Zunächst einmal: Wie geht es Ihnen, Herr Meinke?

Den Umständen entsprechend wieder gut. Denn wir haben wieder Strom und fast immer Wasser. Das ist ein Riesenschritt nach vorne – nach langen Tagen mit Schleppen von Wassereimern und Filtern. Für den Haushalt mussten wir bis dahin Wasser aus der Regentonnen abkochen und den Herd mit Briketts beheizen. Beleuchtet haben wir mit Taschenlampen und Kerzen. Gas und damit warmes Wasser sowie Heizung wird es nach Auskunft des Gasversorgers vorerst nicht wieder geben. Wann das wieder funktionieren wird, ist noch offen – wir hoffen, dass dies vor dem Herbst oder Winter gelingt.

Wie sieht der Alltag in der zerstörten Stadt aus?

Von einem normalen Alltag sind wir hier noch weit entfernt. Menschen haben Furchtbares erlebt. Beispielsweise diejenigen, die alles im Hochwasser verloren haben – manche nicht nur ihr gesamtes Hab und Gut, sondern auch ihre Liebsten. Und sie mussten unter Umständen auch noch hilflos dabei zusehen, wie diese in den dunklen, tosenden Fluten untergingen und ertranken. Am schlimmsten sind die Erzählungen – und das sind leider keine Einzelfälle, bei denen die Leute angesichts des steigenden Wassers “noch schnell” was aus dem Keller holen oder die Sicherungen ziehen wollten. Und dann die Kellertüre gegen den immensen Wasserdruck trotz aller Anstrengungen nicht mehr aufbekamen und nur durch die Kellertüre getrennt quasi vor ihren Angehörigen im eigenen Zuhause ertranken. Einfach nur furchtbar!

Was ist jetzt am Wichtigsten?

Dass den Menschen hier an der Ahr unbürokratisch sowohl in materieller Hinsicht als auch im Hinblick auf das Erlebte geholfen wird. Dass den verzweifelten und zum Teil traumatisierten Menschen echter Beistand geleistet wird, diese schwere Zeit des zum Teil totalen Verlustes ihres bisherigen Lebens zu überstehen. Jetzt, wo die Keller ausgepumpt und der gröbste Dreck und Schlamm beseitigt sind und grundsätzliche Dinge wie Wasser und Strom vielerorts wieder halbwegs funktionieren, wird vielen erst die ganze Dimension dieser ungeheuren Naturkatastrophe klar. Dass ihre Arbeitsstätte nicht mehr da ist, dass die Schule total zerstört ist, dass man mangels Straßen und vor allem Brücken nicht mehr problemlos über die Ahr gelangen kann. Dass Verwandte, Freunde und Bekannte ums Leben gekommen sind – in dieser dunklen Flutnacht ertrunken sind! Den Menschen also konkret eine Perspektive geben, dass es eine Zukunft in ihrer zerstörten Heimat gibt, das ist meines Erachtens das Wichtigste.

Gibt es nach der Katastrophe mehr Zusammenhalt unter den Menschen?

Auf jeden Fall! Viele boten sich unmittelbar nach dem Zurückgehen der Wassermassen an, ohne langes Zögern übelriechenden Schlamm aus den Kellern zu schaufeln, die zerstörten Möbel aus den Wohnungen zu schaffen und den Dreck abzufahren. Garagen, Schuppen und  sonstige Räume wurden gemeinsam entrümpelt und gesäubert. Engagierte verteilten spontan warme Mahlzeiten und Wasserflaschen an Einheimische und Helfer, boten Wasch- und Duschmöglichkeiten an, vermittelten Wohnraum, brachten obdachlos gewordene Menschen in ihren Wohnungen unter, spendeten Kleidung, betreuten Kinder, kamen und kommen bis heute mit ihren Traktoren oder landwirtschaftlichen Großgeräten zum Teil von weit her, um Autowracks aus dem Weg zu räumen und der riesigen Schuttmassen Herr zu werden.

Dabei schufteten und schuften bis heute die Freiwilligen oftmals bis zum Umfallen. Und diese großartige Hilfe kam aus ganz Deutschland und sogar den Nachbarländern binnen kürzester Zeit hier in Bad Neuenahr-Ahrweiler an. Aus Berlin, aus Preetz in Schleswig-Holstein, aus Garmisch-Partenkirchen. Auch aus Luxemburg kamen Helfende mit ihren Fahrzeugen, die nicht lange fragten, sondern einfach nur anpackten und bis heute anpacken! Das war und ist ein tolles Gefühl für die Menschen hier, sich in diesem Elend und Chaos nicht allein gelassen zu fühlen. Das gibt unheimlichen Auftrieb – vor allem, wenn man die vielen jungen Menschen dabei erlebt, wie sie mit Schaufel und Eimer in der Hand den Schlamm- und Dreckmassen zu Leibe rücken.

Haben auch Sie diese Hilfsbereitschaft miterlebt?

Ja! Es war keine Frage, dass wir abends bei Freunden duschen und zu Abend essen konnten, solange wir weder Strom und Wasser hatten. Es war selbstverständlich, dass die Nachbarin kurzerhand auf die zu pflegende Mutter aufpasste, wenn ich selbst im Hilfseinsatz war. Es war keine Frage, Wasser aus der Zisterne der Nachbarn zu bekommen, als die eigene Regentonne leer war. Selbstverständlich kam der Nachbar mit dem Wagenheber zu Hilfe, als das Auto einen Platten aufgrund des Scherbenmeeres auf den Straßen hatte. Klar war man dabei, wenn es darum ging, schnell mal eine Eimerkette zu bilden, um den Schlamm wegzuschaffen, auch wenn man danach vor Dreck triefte. Selbstverständlich hilft man dabei, die letzten Habseligkeiten mit dem Wagen zu transportieren, weil das Auto des Flutopfers mit untergegangen war. Und abends saß und sitzt man zusammen bei einem Kölsch, erzählt von den Erlebnissen des Tages und verarbeitet damit die zum Teil schlimmen Eindrücke. Hier im Rheinland “stonn mer zesamme” (Anmerkung der Redaktion: stehen wir zusammen) – aber diese spontane und sofort einsetzende Solidarität und der Zusammenhalt waren und sind schon etwas ganz Besonderes! 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Gespräch führte Michael Klein.

 

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