Und noch eine Syrienkonferenz?
Weiter geht es im Reigen der Geberkonferenzen zu Syrien: Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche treffen sich in Brüssel unter dem Vorsitz der Europäischen Union und der Vereinten Nationen erneut Staaten, Entwicklungsbanken und humanitäre Organisationen zur Situation in Syrien und den Nachbarländern.
Neben den Prozessen von Genf (VN) und Astana/Sochi (Russland) die vor allem die Konfliktparteien an einen Tisch bringen wollen, ist diese Konferenz („Brüssel II“) Teil der Serie an Geberkonferenzen, die seit 2013 jährlich die größten und wichtigsten Geber zusammen bringen möchten. Dabei soll über den Fortschritt der finanziellen Hilfe für Syrien und die Nachbarstaaten und die aktuellen Herausforderungen an die Humanitäre Hilfe gesprochen werden, aber auch politische Lösungen unterstützt werden.
Eine allen bekannte katastrophale humanitäre Situation
Der 15. März 2018 markiert den Eintritt in das achte Jahr des Syrienkonflikts, und das Ende eines der schlimmsten Jahre des Konflikts – der nun schon länger dauert als der zweite Weltkrieg. Die Auswirkungen: Über 500.000 Todesopfer, über 13,5 Millionen Menschen sind auf Humanitäre Hilfe angewiesen, davon mehr als drei Millionen Menschen in Gebieten, welche Aufgrund von Blockaden der Konfliktakteure, bürokratischer Hürden oder andauernder Kampfhandlungen nur sehr schwierig erreicht werden können. Mehr als 11 Millionen Menschen sind vertrieben. Ganze Städte und Landstriche sind unbewohnbar, viele Krankenhäuser und Schulen zerbombt. Das psychische Leid der Menschen ist nicht vorstellbar.
Sieben Milliarden USD sind über das VN-System seit 2012 in das Land geflossen – doch die jährlichen Bedarfe sind meist nicht einmal zur Hälfte durch staatliche und private Mittel an VN, Rotes Kreuz und die Zivilgesellschaft gedeckt. Diese chronische Unterfinanzierung ist ein zentrales Problem. Das vorhandene Geld muss auch nachprüfbar, verlässlich und kontinuierlich in konkrete humanitäre Hilfsprogramme vor Ort fließen.
Dies soll nicht darüber hinweg täuschen, dass Millionen von Menschen jedes Jahr dennoch durch die Hilfe einen Beitrag zu ihrem Überleben und für ihren Schutz erhalten. Gerade in den Gebieten, die nur schwer zu erreichen sind, sind es Akteure aus der lokalen Zivilgesellschaft und Religionsgemeinschaften, auch Partner der Diakonie Katastrophenhilfe, die den Bedürftigen die Hilfe zur Verfügung stellen, weil internationale Akteure keinen Zugang erhalten. Häufig riskieren Helferinnen und Helfer dabei ihr Leben.
Menschenwürde in langanhaltenden Krisen
Eine wichtige Forderung humanitärer Organisationen bei der Konferenz ist die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens, also auch Wohnraum und Erwerbsmöglichkeiten – zentrale Aspekte für die Menschen in allen langanhaltenden humanitären Krisen. In Syrien, wie den Nachbarstaaten, haben Binnenvertriebene wie Geflüchteten große Schwierigkeiten, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. In Syrien selbst wegen dem teilweisen Zusammenbruchs des wirtschaftlichen Systems, fehlendem Zugang zu Land, unterbrochener Bildung und der andauernden Unsicherheit. In den Nachbarländern gerade auch wegen unklarer Aufenthaltstitel, fehlender Arbeitserlaubnisse und geringer Bildungschancen. Dies verschlimmert nicht nur die Ernährungssituation und die Gesundheit der Menschen, sondern lässt die Gefahr der Abhängigkeit und des Missbrauchs steigen.
In Syrien benötigen Millionen von Menschen dringend Wohnraum – sie leben in Zeltlagern, Slumsiedlungen und Abrisshäusern. Aber gerade auch wegen der ungelösten politischen Machtfrage herrscht bei vielen Gebern ein großes Zögern in der Bereitstellung von Geldern zur Schaffung von würdigen und sicheren Unterkünften in Syrien. Natürlich ist an einen strukturierten Wiederaufbau noch nicht zu denken – aber Menschenwürde kann nicht darauf warten, dass eine Regierung in Syrien an der Macht ist, die von allen politischen Akteuren als legitim erachtet wird.
Humanitäre Diplomatie ohne wirklich relevante Perspektive und Beteiligung?
Das Vertrauen der Menschen in ihre Nachbarn, in soziale und politische Akteure, wie auch die internationale Gemeinschaft ist in den Grundfesten erschüttert. Und die Situation in Syrien und in den Nachbarstaaten macht schmerzhaft deutlich, welche Auswirkungen die seit längerem manifeste Krise des Multilateralismus auch auf die Humanitäre Hilfe hat – und somit stellt sich in Bezug auf die Konferenz in Brüssel eine fundamentale strukturelle Frage: Wie können internationale Initiativen wie diese Konferenz die humanitären Auswirkungen und Problemstellungen dieses Konflikts noch wirksam bearbeiten?
Humanitäres Völkerrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention und die grundlegenden Prinzipien der Humanitären Hilfe, alles Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, sind im Kontext von Syrien, wenn überhaupt, nur leere Worthülsen. Die Durchsetzung von verbindlichen Standards durch internationales Recht scheint illusorisch, eine Erweiterung oder Festigung und Anpassung schlicht unmöglich. Viele Prozesse zur Humanitären Hilfe und dem Humanitären Völkerrecht (32ste Internationale Konferenz der Rotkreuz/Rothalbmond Bewegung, Humanitärer Weltgipfel in Istanbul 2016) sind dafür symptomatisch. Auch die laufenden zwischenstaatlichen Verhandlungen zur Erarbeitung eines Flüchtlingspaktes, die dieses Jahr noch abgeschlossen werden sollen und genau auch Ansätze dafür enthält, wie menschenwürdige Lebens- und Erwerbsmöglichkeiten für Flüchtlinge geschaffen werden sollen, scheitern an einer wirklichen Beteiligung relevanter Staaten außerhalb der traditionellen Geber und ein paar durch die Aussicht auf finanzielle Hilfen an den Tisch gelockten „Pilotländern“ (Syrien und die Nachbarländer gehören hier bezeichnenderweise gar nicht dazu!). Die bisherigen Entwürfe bleiben Kataloge an gut gemeinten Selbstverpflichtungen und „Best-practices“. Und die wirklich politischen Fragen, die Frage nach der einfachen Akkzeptanz der grundlegenen Werte der Menschlichkeit und nach der nachhaltigen Beilegung von Konflikten sind zwar aufgeführt, bleiben aber zahnlos.
Für jede Diskussion um eine wirksamere und bessere Humanitäre Hilfe ist es aus diesem Grund wichtig, den Kreis der an den Gesprächen Beteiligten größer zu ziehen, und in diesem Rahmen Verbindlichkeit zu schaffen. Wir müssen uns die Frage stellen, ob es zu wirklichen Veränderungen kommen wird, wenn sich dieselben, sich verbundenen Akteure immer wieder treffen, und dieselben, allen bekannten Problemanzeigen wiederholen.