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Humanitäre Hilfe braucht Sicherheit

zurück Von Christian Huber

Heute ist der Welttag der Humanitären Hilfe. Dieser Tag soll daran erinnern, welchen Beitrag Humanitäre Helferinnen und Helfer zur Unterstützung und zum Schutz von den Menschen leisten, die an vielen Orten dieser Welt von Krisen betroffen sind.

Soldaten und Hilfskräfte im Gespräch

Soldaten und Hilfskräfte im Gespräch

 

Sein Ursprung weißt uns darauf hin, wie gefährlich diese Arbeit oft ist, denn er markiert den Tag des Sprengstoffanschlags auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Bagdad am 19. August 2003, dem 22 Angestellte der Vereinten Nationen zum Opfer gefallen sind. Der aktuelle Bericht über Vergewaltigungen von Humanitären Helferinnen in Juba vor etwa sechs Wochen, und der letzte Bombenangriff auf ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen im Jemen diese Woche – schon der vierte in diesem Jahr im Jemen alleine – zeigen die traurige Aktualität dieses Themas.   

In nüchternen Zahlen ausgedrückt meldet die Aid Worker Security Database für den Zeitraum zwischen 1997 und 2015 insgesamt 2.015 sicherheitsrelevante Zwischenfälle, die seit 2003 fast kontinuierlich ansteigen, mit den meisten Zwischenfällen (265) im Jahr 2013. Afghanistan, Sudan und Somalia sind nach diesen Zahlen die gefährlichsten Länder für Helfende. Lokale Helfende sind leider gerade die, die von Vorfällen am meisten betroffen sind. Zwischen 2005 und 2015 waren es 2.694 lokale Mitarbeitende von insgesamt 3.137 Betroffenen, das heißt 86 Prozent.

Nähe

Aber hinter jeder dieser Zahlen steckt eine eigene Geschichte. Ich selber denke an diesem Tag vor allem an einen Kollegen aus Afghanistan, der am 1. April 2011 in Mazar-e-Sharif zusammen mit anderen in seinem Büro im Zusammenhang mit einer aus der Kontrolle geratenen Demonstration ermordet wurde. Er hätte diesen Tag wahrscheinlich überlebt, hätte er an diesem Tag, einem Feiertag, nicht gearbeitet, sondern mit uns gemeinsam etwa 500 Meter entfernt Volleyball gespielt.

Ich denke auch an den Kollegen aus dem Kongo, der eines unserer Teams durch seine Umsichtigkeit und seine Fähigkeit den richtigen Ton zu finden, vor viel Schlimmerem bewahrt hat.

Oder eine gute Freundin, die in Haiti vom Erdbeben überrascht zwei Tage lang unter den Trümmern lag, durch Musik in ihrem Herzen unermüdlich gegen den Betonblock klopfte, der ihre Beine verklemmt hatte, und so von ihren Kollegen, dadurch aufmerksam geworden, mit bloßen Händen ausgegraben werden konnte.

Und er, der trotz mehrfachem Kidnapping immer wieder zurückgekehrt ist, um seinen Beitrag in der Humanitären Hilfe zu leisten.

Oder den Fahrer, der trotz einer direkten Gefahr für seine Familie und ihr Hab und Gut in einer Zeit von Unruhen im Südsudan Tag und Nacht seine Aufgabe bewältigt hat.

Meine Gedanken gehen auch zu ihren Familien und Freunde, welche Stunden, Tage und manchmal Monate verzweifelt darauf gewartet haben, Neuigkeiten zu bekommen – oder noch warten. Und natürlich diejenigen, denen die schlimmste Nachricht nicht erspart blieb.

Vielfältige Gründe für die gestiegene Zahl an Vorfällen

Die Gründe für den Anstieg der Vorfälle sind sicher vielfältig und oft auf den Kontext in den jeweiligen Regionen bezogen. Es nicht überraschend, dass in den Konflikten mit hoher Intensität viel mehr Vorfälle zu beobachten sind – genau dort, wo Humanitäre Hilfe also am meisten gebraucht wird. Durch die gewachsene Zahl an Helfenden und humanitären Organisationen ist ganz real auch die Zahl derer gestiegen, die sich diesen Risiken, vorbereitet oder nicht, aussetzen – zwischen 2000 und 2014 hat sich die Zahl der Mitarbeitenden verdreifacht.

Die zunehmende Politisierung der Humanitären Hilfe wird oft auch als einer der anderen wichtigen Gründe für die gewachsene Zahl der Vorfälle angeführt, das heißt Humanitäre Helferinnen und Helfer werden nicht als am Konflikt unbeteiligt gesehen, sondern gelten als Teil dessen, als verlängerten Arm der politischen Agenda einer der Konfliktparteien. 

Durch oft sehr schwache staatliche Strukturen und die hohen Armutsraten in den Empfängerländern der Humanitären Hilfe ist Kriminalität auch ein wichtiges Element. So haben zum Beispiel über 80 Prozent der Entführungen einen finanziellen Hintergrund. 

Die Verantwortung der Konfliktparteien und der internationalen Gemeinschaft

Natürlich sind Humanitäre Helferinnen und Helfer durch das Humanitäre Völkerrecht, insbesondere die Genfer Konventionen, klar und unmissverständlich rechtlich geschützt – nicht nur in der Kategorisierung als Zivilisten und medizinisches Personal, sondern auch weil ihre Sicherheit eine unerlässliche Vorrausetzung für die Leistung Humanitärer Hilfe ist. Im Jahr 2003, als Reaktion auf den besagten Anschlag, hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in einer speziellen Resolution diesen Schutz untermauert, und 2014 auch noch einmal bekräftigt. Die nationale Gesetzgebung in den Einsatzländern greift – zumindest theoretisch – natürlich auch.

In diesem Sinne rufen wir als Diakonie Katastrophenhilfe, wie auch viele andere Akteure der Humanitären Hilfe, die Regierungen und bewaffneten Gruppen immer wieder dazu auf ihrer Verantwortung nachzukommen und diesen Schutz ernst zu nehmen – denn sonst verkommt auch dieser Tag zu einer Farce: 

  • Auf der internationalen diplomatischen Ebene heißt das, den Druck auf die Konfliktparteien zu erhöhen, die ganz grundlegenden Normen des Humanitären Völkerrechts zu akzeptieren, beziehungsweise dort zu unterstützen, wo diese offensichtlich nicht verstanden werden.
  • Im Feld heißt das, sich ganz konkret an diese grundlegenden Normen zu halten, aber auch das nationale Recht, beziehungsweise das Mandat zum Schutz der Zivilisten, und somit der Helfenden, ernst zu nehmen und durchzusetzen.  

Unsere Verantwortung als humanitäre Organisationen

Aber auch wir als humanitäre Organisationen müssen unseren Beitrag leisten, Risiken zu reduzieren und die Folgen für unsere Mitarbeitenden und die unserer Partner besser in den Griff bekommen – und hierbei geht es eben nicht nur darum, zu vermeiden zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein:

  • Humanitäre Hilfe muss sich auf ihre Prinzipien besinnen. Wir müssen der Maxime treu bleiben, die Menschen zu unterstützen, die unsere Hilfe am ehesten brauchen, frei von politischer Einflussnahme und Steuerung. So legen wir den Grundstein für Akzeptanz bei bewaffneten Akteuren und den Menschen vor Ort.     
  • Der Dialog mit den Konfliktparteien und der Bevölkerung muss verstärkt geführt werden. Leider führt falsch verstandene Sicherheit auch dazu, dass sich humanitäre Akteure hinter starken Mauern und in weißen Jeeps verstecken. Aber ohne diesen Dialog ist es unmöglich, die Ziele unserer Arbeit verständlich zu machen, die Situation um uns herum wirklich wahrzunehmen, und die Bedürfnisse der Menschen wirklich zu verstehen.
  • Wir als humanitäre Organisationen müssen noch stärker in unsere Mitarbeitenden und unsere Prozesse investieren. Einige Organisationen setzen notwendige Ressourcen dafür ein, ihre Mitarbeitenden zu schulen, relevante Sicherheitskonzepte zu entwickeln, und den logistischen und technischen Unterbau für diese bereitzustellen. Viele Organisationen tun dies nicht – weil ihnen die Erfahrung, die Ressourcen oder das Bewusstsein fehlen – und begeben sich zum Teil leichtsinnig in Gefahr. Finanziellen Ressourcen für Sicherheit und Schulung unserer Mitarbeitenden und der unserer Partner müssen auch von den Gebern stärker berücksichtigt werden. Hier haben wir als Partner lokaler Organisationen eine besondere Aufgabe – und müssen diese je nach Bedarf unterstützen. In diesem Sinn müssen wir uns als internationale Partner konsequent über den Risikotransfer an lokale Organisationen Gedanken machen. 
  • Wir müssen noch besser darin werden, unseren Mitarbeitenden und die unserer Partner bei der Verarbeitung des Erlebten und der Nachsorge beizustehen – ein seit einigen Jahren unter Humanitären Helferinnen und Helfern heiß diskutiertes Thema. Hier muss nachgebessert werden – und zwar in gleicher Weise für die lokalen, wie die internationalen Helfenden.

Ein Risiko wird jedoch immer bleiben – alles Gute, ihr macht eine sehr wichtige und notwendige Arbeit!

Stay safe!

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