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Hochwasser 2021: Was geblieben ist, sind die Probleme

zurück Markus Koth

Vor rund eineinhalb Jahren, im Juli 2021, hat die Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mehr als 180 Menschen das Leben gekostet und ganze Städte und Dörfer zerstört. Wir sind mit der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe seit Tag eins nach der Katastrophe in den betroffenen Regionen im Einsatz und unterstütze die Menschen sowohl finanziell als auch beratend und seelsorgerisch. Heute möchte ich darüber sprechen, wie sich die Arbeit mittlerweile verändert hat und welche Hilfen nötig sind.

Ein Jahr nach dem Hochwasser sind die Schäden noch immer groß und viele Probleme bleiben.

Ich habe in meiner Funktion als Fluthilfekoordinator alle Gebiete besucht und die Situation sehr unterschiedlich erlebt. Die Menschen im Ahrtal etwa beschäftigen sich aktuell noch mit anderen Dingen als vielleicht die Menschen in Eschweiler oder Hagen. Das liegt nicht zuletzt an dem Ausmaß der Katastrophe, das regional sehr unterschiedlich war.

Während die einen vielleicht noch im kalten Rohbau sitzen, mit Versicherungen verhandeln und Handwerker suchen, sind andere schon mitten im Wiederaufbau oder beschäftigen sich sogar bereits mit der Katastrophenvorsorge, um in Zukunft besser geschützt zu sein. In einigen Orten ist die Zerstörung noch groß, während andere Orte –  zumindest auf den ersten Blick – schon wiederbelebt sind.

Alle Regionen, die ich bislang besucht habe, haben jedoch eines gemeinsam: Überall sind die Folgen der Flut noch lange nicht beseitigt. Die Menschen müssen sich immer noch mit der Katastrophe auseinandersetzen – sei es durch den Ersatz des erlittenen materiellen Schadens oder durch das Verarbeiten des Erlebten, das oftmals traumatisch für die Menschen war.

Mobile Fluthilfeteams decken riesiges Gebiet ab

Bereits kurz nach der Katastrophe haben wir mobile Fluthilfe-Teams eingesetzt. Diese sind nach wie vor in den betroffenen Regionen im Einsatz und werden dort auch bleiben, solange sie gebraucht werden. Die Arbeit allerdings hat sich im Laufe der Zeit verändert. Die zehn Teams decken mit ihrem Einsatz ein riesiges Gebiet ab: vom Sauerland bis in die Hocheifel nahe der luxemburgischen Grenze. Während unsere Mitarbeitenden unmittelbar nach der Flut vor allen Dingen damit beschäftigt waren, Strukturen aufzubauen, Betroffene aufzusuchen und sie schnell und vor allen Dingen unbürokratisch mit Soforthilfen zu unterstützen, so zeichnet sich die Arbeit mittlerweile durch mehr Verwaltungsaufgaben aus.  Jede einzelne Beratung ist sehr komplex und zeitintensiv.

Aufbruchsstimmung verschwunden, Probleme geblieben

Und auch das Begleiten der Landesanträge nimmt viel Zeit in Anspruch. Was sich ebenfalls verändert hat, ist die Gemütslage vieler Betroffener. Kurz nach der Flut herrschte teilweise sogar so etwas wie Aufbruchsstimmung, nach dem Motto „Gemeinsam schaffen wir das“. Diese Stimmung ist längst verflogen, berichten die Teams. Auch das große Interesse in der Öffentlichkeit ist geschwunden. Was hingegen geblieben ist, sind die Probleme mit Versicherungen sowie die mühsame Suche nach Handwerkern, bezahlbaren Baumaterialien und ähnlichem. Was ich auch oft von den Teams höre: Viele Menschen sind heute eher kraftlos, sie sind müde und frustriert, einige sogar gereizt und dünnhäutig. Auch mit solchen Emotionen müssen die Kolleg*innen dann umgehen können, das ist eine Herausforderung.

Aber es gibt natürlich auch viele positive Veränderungen: Bei unseren Mitarbeitenden hat sich mittlerweile eine gute Form der Routine eingestellt. Abläufe wurden optimiert, außerdem unterstützen sich die unterschiedlichen Organisationen vor Ort und haben hilfreiche Netzwerke geknüpft. Und zwischen den Fluthelfer*innen und den Betroffenen, die diese nun teilweise schon über Monate hinweg intensiv begleiten, besteht heute ein enges Vertrauensverhältnis.      

Psychosoziale Beratung elementarer Bestandteil der Hilfe

Wir als Nicht-Betroffene können uns oft gar nicht vorstellen, was die Menschen während der Flutkatastrophe erlebt haben. Beim Verarbeiten dieser Erlebnisse kann ihnen die psychosoziale Beratung helfen, deshalb ist sie elementarer Bestandteil unseres umfassenden Hilfsangebots. Der Bedarf an psychosozialer Begleitung ist sogar tendenziell steigend. Denn viele Menschen fallen erst jetzt - nachdem sie anfangs nur „funktioniert“ haben - in ein Loch. Die Freiwilligen sind nach und nach abgezogen, die Probleme jedoch sind geblieben. Und oft fehlt den Betroffenen die Kraft, diese Probleme anzugehen.

Individuelle Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen

Unsere Teams, zu denen auch Seelsorger*innen gehören, sind daher bewusst so aufgestellt, dass sie jeden Menschen als Ganzes betrachten und in dessen jeweiliger Lebenssituation wahrnehmen. Sie stellen individuelle Bedürfnisse - auch abseits rein finanzieller Bedürftigkeit - in den Mittelpunkt einer jeden Beratung. Was unsere Fluthilfe-Teams leisten, ist weit mehr als Anträge bearbeiten: Jedes Mal aufs Neue werden sie mit einem persönlichen Schicksal konfrontiert. Diese Begleitung ist sehr anspruchsvoll und ein Qualitätsmerkmal unserer Arbeit. Und wenn ich dann von den Betroffenen höre, dass sie genau das sehr schätzen und als würdevollen Umgang empfinden, dann freut mich das sehr.

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