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„Unsere mobilen Teams sind für alle Probleme ansprechbar“

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Michael Frischmuth ist unser Kontinentalverantwortlicher für Europa und hat bereits nach dem Hochwasser 2013 in Deutschland Betroffenen geholfen. Im Interview erklärt er, worauf es bei nachhaltiger Hilfe ankommt – und warum mobile Teams hierbei eine entscheidende Rolle einnehmen.

Viele Menschen haben für die Flutopfer gespendet. Wie konnte die Diakonie Katastrophenhilfe bisher helfen?
Die Menschen stehen vor dem Nichts und haben einen Großteil von ihrem Hab und Gut verloren. Deshalb waren für uns direkt nach der Katastrophe Bargeldhilfen das Mittel der Wahl. Damit kann jede Familie selbst entscheiden, was sie am nötigsten braucht. Davon haben bis Mitte September 1.200 Haushalte und zehn soziale Einrichtungen profitiert. Wir sind keine Organisation des Katastrophenschutzes, die Ambulanzen, Notärzte oder Bergungsgeräte stellt. Unsere Hilfe beginnt – weltweit und auch in Deutschland – mit der Erstversorgung der betroffenen Menschen mit allem, was unmittelbar nach einer Katastrophe notwendig ist.

Gibt es schon Wiederaufbau-Hilfen?
Nein. Leider werden die betroffenen Menschen viel zu wenig darüber aufgeklärt, was die vom Staat zugesagten 30 Milliarden Euro betrifft. Der Großteil dieser Mittel wird in die Infrastruktur gehen – zerstörte Straßen, Brücken und Bahngleise müssen repariert werden. Nur ein kleiner Teil der staatlichen Förderung geht an die Privathaushalte. Hilfsorganisationen wie die Diakonie Katastrophenhilfe bleiben so lange die Hände gebunden, bis die staatlichen Förderrichtlinien für den Wiederaufbau veröffentlicht sind. Seit dem 17. September können Betroffene in Nordrhein-Westfalen Wiederaufbau-Hilfe beantragen. Doch die umfangreichen Anträge müssen dann noch geprüft werden, bevor Hilfe ausgezahlt werden kann.

Warum hilft die Diakonie Katastrophenhilfe dann nicht früher? Sie hat ja viele Spenden bekommen.
Das ist richtig, doch dürfen wir mit diesen Spendenmitteln keine staatlichen Hilfsleistungen oder Versicherungszahlungen ersetzen. Die Hilfsorganisationen kommen erst an dritter Stelle zum Zug, etwa, um Lücken in der staatlichen Förderung zu füllen. Und diese Lücken wird es geben. Laut den Förderrichtlinien von Nordrhein-Westfalen wird die staatliche Hilfe bis zu 80 Prozent der Schäden abdecken. Manche Schäden werden gar nicht als solche anerkannt und bauliche Veränderungen, die Häuser künftig besser schützen sollen, werden von Bund und Ländern wohl auch nicht übernommen.

Das heißt, Sie hängen in der Warteschleife?
Was wir in Vorbereitung auf den Wiederaufbau schon tun können, ist die Betroffenen zu beraten. Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit Banken und Versicherungen umgehen sollen. Auch bei den Anträgen für die staatlichen Hilfen werden viele Unterstützung brauchen. Hier helfen wir über unsere lokalen diakonischen Strukturen in den Flutgebieten. Mobile Teams mit spezialisiertem Personal sind gerade im Aufbau. Sie gehen in die Dörfer und bieten den Menschen direkt Hilfe an.

Viele Betroffene mussten ihren gesamten Hausstand entsorgen und haben nur noch ihre vier feuchten Wände. Wie helfen Sie diesen Menschen über den Winter?
Wir haben bislang mehr als 2.600 Trocknergeräte verteilt, um schnellstmöglich die Nässe aus den Gebäuden zu bekommen. Die Häuser können dadurch schneller wieder bewohnt werden und wir vermeiden weitere Folgeschäden. Außerdem starten jetzt unsere Haushaltsbeihilfen von bis zu 5.000 Euro, die zumindest einen Teil des verloren gegangenen Inventars ersetzen können. Zudem benötigen viele Familien Heizgeräte für den Winter. Wir haben 4.000 Heizlüfter bestellt, die in den kommenden Tagen über die diakonischen Einrichtungen vor Ort verteilt werden.

Wohin können sich Betroffene wenden, um durch die Diakonie Katastrophenhilfe Unterstützung zu erhalten?
Unsere Hilfe für die Menschen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen setzen wir über die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) und deren lokale Diakonien um. Dadurch sind wir fast überall vertreten. Betroffene können sich direkt an die Diakonie RWL wenden. Wir stellen die Infos für unsere Haushaltsbeihilfen auch auf unserer Webseite bereit. Betroffene finden dort auch den Link zum Antragsformular der Diakonie RWL. Bald werden zusätzlich unsere mobilen Teams unterwegs sein. Sie werden von Haustür zu Haustür gehen und sind für alle Probleme ansprechbar, ganz gleich ob es sich um Wiederaufbau-Hilfen, Ärger mit der Versicherung oder soziale und psychologische Probleme handelt.

Sie leisten weltweit Katastrophenhilfe. Mit welchen Herausforderungen sind Sie speziell in Deutschland konfrontiert?
In Deutschland stehen die Hilfsorganisationen unter einem noch höheren Erwartungsdruck. Die Menschen schauen natürlich sehr genau hin, was gemacht wird und wie schnell. Dabei sind uns bei den Wiederaufbau-Hilfen vorerst noch die Hände gebunden. Hier können wir die Menschen im aktuellen Stadium nur beraten, damit durch zu frühe und unsachgemäße Renovierungsarbeiten keine zusätzlichen Schäden entstehen. Beispielsweise wollen wir damit vermeiden, dass Betroffene einen neuen Fußboden wieder herausreißen müssen, weil der Boden darunter noch zu feucht war und der neue Belag zu schimmeln beginnt.

Kommen die Hilfen so unbürokratisch bei den Menschen an, wie sie versprochen wurden?
Die unbürokratische Hilfe leistete die Diakonie Katastrophenhilfe in den ersten Wochen und Monaten mit den Bargeldhilfen oder der Verteilung von Trocknergeräten. Was die Wiederaufbau-Hilfe angeht, muss man aber so ehrlich zu den Betroffenen sein und ihnen sagen, dass es ohne Bürokratie und Bedürftigkeitsprüfung nicht geht. Das ist nicht das Verschulden der Hilfsorganisationen, sondern liegt an den gesetzlichen Vorgaben. Auch unsere Spenderinnen und Spender erwarten, dass wir gewissenhaft mit den Geldern umgehen. Was wir den betroffenen Menschen auf jeden Fall versprechen: Die Diakonie Katastrophenhilfe wird für viele Jahre vor Ort bleiben und beim Wiederaufbau helfen.

Das Interview führte Birgit Kroll.

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